Aktuelle Stadtentwicklungsdebatten: querstadtein ist dabei
Mit unseren Stadtführungen möchten wir die breite Öffentlichkeit auf das Thema Obdachlosigkeit im Stadtraum sensibilisieren. In den letzten Monaten hatten wir gleich mehrfach die Chance uns in aktuelle Stadtentwicklungsdebatten mit der Perspektive von Betroffenen einzubringen.
Neugestaltung der alten Berliner Mitte
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beauftragt, einen Dialogprozess einzuleiten, in dem es um die Neugestaltung der alten Berliner Mitte, nämlich dem Areal zwischen Fernsehturm und Spree, geht. Im Rahmen dieses Prozesses fand am 18. April eine Tagung statt, bei der es auch Ortsbegehungen unterschiedlicher Art gab. So konnten Besucher*innen den Ort mit verschiedenen Themenbrillen erkunden: Es gab z. B. eine historische Führung, aber eben auch das etwas andere Angebot, die alte Berliner Stadtmitte gemeinsam mit querstadtein zu erleben. Wir haben uns sehr gefreut, dass man uns angesprochen hat und wir die Möglichkeit bekamen, die „Obdachlosenperspektive“ auf das Areal zu repräsentieren. Allzu oft kommt es vor, dass bei der Neugestaltung urbaner Räume diese Gruppe nicht mitgedacht wird. Stadtführer Uwe Tobias betonte auf der Tour über das Gelände, dass Grünflächen eine wichtige Rolle für ihn gespielt haben, da man sich hier recht ungestört ausruhen kann. Auf Rasenflächen, auf denen es sozial akzeptiert ist, dass man auf dem Boden liegt oder sitzt, fällt man als obdachlose Person nicht so sehr auf. Außerdem haben wir über öffentliche Toiletten gesprochen: Davon gibt es in Berlin zu wenige und die, die es gibt, sind oft zu teuer für Menschen, die auf der Straße leben. Das liegt u. a. daran, dass Toiletten immer häufiger von privaten Firmen bereitgestellt werden, die mit dem Angebot Profit machen müssen. Die Folge: Die Büsche müssen herhalten und das ist vor allem für die obdachlosen Menschen selber unangenehm. Die Tourteilnehmer*innen waren begeistert von Uwe und seiner Sicht auf das Gelände.
Wem gehört die Stadt?
Schon zwei Wochen später, am 2. Mai, hatten wir die Gelegenheit im Studio Я des Maxim Gorki Theaters an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wem gehört die Stadt? Stadtmobiliar und Privatisierung des urbanen Raums“ teilzunehmen. Gastgeber waren der Performancekünstler Tucké Royale und der Zentralrat der Asozialen in Deutschland, die außer uns noch zwei Vertreter*nnen des Bundeskongresses der Straßenkinder und einen Repräsentanten von metroZones, einer Vereinigung für kritische Großstadtforschung, eingeladen hatten. Gemeinsam haben wir vor allem über das Thema Verdrängung obdachloser Menschen aus dem urbanen Raum diskutiert und dabei festgestellt, dass die Situation in Berlin im Vergleich zu Städten wie Hamburg oder München entspannter ist, jedoch auch hier Tendenzen zur Verdrängung ausgemacht werden können. Zum Beispiel wurden vor ein paar Jahren alle Bänke aus dem Europacenter am Kurfürstendamm entfernt, es gibt Orte, wie der Alexanderplatz, an denen der öffentliche Alkoholkonsum verboten ist und damit eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen wird, bestimmten Gruppen Platzverweise zu erteilen. Außerdem beobachten wir mit Sorge die Bestrebungen, sogenannte Immobilien- und Standortgemeinschaften oder Business Improvement Districts (BID) in Berlin einzurichten. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Standorte soll dadurch gesichert werden, dass die Attraktivität der Geschäftsstraßen für Kunden und Anwohner*innen erhöht wird. Der erste BID in Berlin ist für die Tauentzienstraße und den Kurfürstendamm zwischen Wittenbergplatz und Uhlandstraße geplant. Anrainer bekommen die Möglichkeit, ein Regelwerk für diesen Bereich aufzustellen, das dem eines Einkaufszentrums ähnelt: Der öffentliche Raum ändert seinen Status und wird zunehmend privatisiert. Keine guten Nachrichten für obdachlose Menschen, die sich hier aufhalten, denn z. B. das Flaschensammeln, das Verkaufen von Straßenzeitungen oder Betteln könnten verboten werden. Bei den Verkehrsbetrieben sind laut Hausordnung auch der Aufenthalt ohne Fahrabsicht oder die Nutzung der Verkehrsmittel im „verdreckten“ oder „übel riechenden“ Zustand verboten.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Personen, die entsprechende Entscheidungen zu verantworten haben, mal eine querstadtein-Tour besuchen würden! Wir glauben: Der persönliche Kontakt zu Betroffenen trägt dazu bei, dass man besser in der Lage ist, (eventuell nicht beabsichtigte) Konsequenzen derartiger Beschlüsse abzuschätzen und einer Verdrängung von Personen, die sich in einer schwierigen Lage befinden, vorzubeugen.