Kommentar zur Einbindung von Erfahrungsexpert*innen

Kommentar zur Einbindung von Erfahrungsexpert*innen

Gastbeitrag von Susanne Hinneberg

Schon bei der Gründung von querstadtein stand das Ziel im Vordergrund, Menschen, die sonst oft ungehört bleiben, Raum zu geben und Gehör zu verschaffen. Wir wollen damit Diskurse um wichtige Stimmen und Perspektiven erweitern, die sonst keine Beachtung finden. Einfach gesagt: Wir wollen mit Menschen sprechen und nicht über sie.
Umso mehr freut es uns, wenn unsere Stadtführenden als Bildungsakteur*innen und Erfahrungsexpert*innen auch außerhalb ihrer Touren bei querstadtein um ihre Expertise gebeten werden. Nicht nur als Interviewpartner*innen für die Presse oder Forschung werden sie angefragt, sondern zunehmend auch für politische Debatten und Podiumsdiskussionen. In ihrem Beitrag reflektiert Susanne über ihre Rolle und den Weg hin zur Erfahrungsexpertin. Viel Spaß beim Lesen!

 

Hallo, hier schreibt Susanne. Ich mache seit August 2023 meine querstadtein-Tour „Die Kunst zu(m) Überleben“ entlang des Kurfürstendamms, bei der ich über wichtige Themen wie Altersarmut, Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit und kulturelle Teilhabe aufkläre. Daneben engagiere ich mich bereits seit 2022 in einer Selbstvertretungsgruppe von ehemals und aktuell wohnungslosen Menschen (die ich ja auch – noch immer – bin): Union für Obdachlosenrechte Berlin, kurz UfO Berlin.

Die Vertreter*innen der Stadtgesellschaft laden uns mittlerweile regelmäßig als Expert*innen in eigener Sache zu Fach- und Strategiekonferenzen ein. Denn hier hat inzwischen ein bemerkenswertes Umdenken stattgefunden. Es wird nicht mehr ÜBER, sondern nunmehr MIT uns betroffenen Menschen gesprochen. Und ich darf eine derjenigen sein, die den vielen unge- und übersehenen sowie ungehörten Menschen Gesicht und Stimme verleiht. So war ich u.a. kürzlich Podiumsgast bei der Präsentation der Ergebnisse eines Praxisforschungsprojektes der Alice Salomon Hochschule, welches ich wissenschaftlich begleiten durfte. Hierbei wurde von den Studierenden untersucht, wie das Wohnen in speziellen Unterkünften für wohnungslose Menschen von eben diesen empfunden wird; ferner, wie etwaige Standards (die es tatsächlich nicht gibt) in diesen Unterkünften gestaltet sein sollten. Zu den bemerkenswertesten Ergebnissen gehörte, dass sich die Bewohner*innen (auch strikte) Regeln für ein harmonisches Zusammenleben gewünscht haben, mehr Unterstützung durch die dort Mitarbeitenden bei der Bewältigung ihres Alltags und der bürokratischen Herausforderungen zu erhalten und, da sich viele Menschen unterfordert fühlen, dass Ihnen Angebote gemacht werden für eine sinnhafte Mitarbeit in diesen Unterkünften, z.B. gemeinsames Kochen oder auch handwerkliche Arbeiten in Haus und ggf. Gartenanlagen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, sich nicht einbringen zu können, zu großem Verdruss bis hin zur Depression führen kann. Erlebte Wertschätzung hingegen wirkt beflügelnd und macht einfach nur glücklich – das ist das, was ich bei und durch querstadtein erfahre und was mich mit großer Dankbarkeit erfüllt.

 

Zum Hintergrund von UfO Berlin:

Wir sind hervorgegangen aus einer Gruppe Freiwilliger und Ehrenamtlicher, die unter dem Projektnamen „Zeit der Solidarität“ eine erneute Zählung (nach einer ersten im Winter 2019–2020) obdachloser Menschen in Berlin durchführen wollte. Diese erneute Zählung hat dann tatsächlich nicht stattgefunden; vielmehr wurde mit Betroffenen und Ehrenamtlichen ein Interview-Format entwickelt, um mit von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen ins Gespräch zu kommen, damit diese ihre Bedürfnisse und Wünsche, ihre tatsächlichen Lebensumstände, ihre Ideal-Vorstellungen vom Leben hierzulande, aber auch in ihren Herkunftsländern schildern können. Komplett anonym, absolut vertraulich und immer respektvoll auf Augenhöhe. Wir durften ca. 200 dieser Gespräche dokumentieren und auswerten; einen umfangreichen Bericht über die Ergebnisse unserer Aktivitäten haben wir unter dem Projektnamen „Zeit für Gespräche“ in vielen Veranstaltungen einem sehr interessierten Publikum präsentiert: Vertreter*innen aus Bundes‑, Landes- und Bezirkspolitik, Wissenschaft und Forschung, aus der (auch Straßen-)Sozialarbeit, Mitarbeiter*innen aus Nachbarschaftsheimen und Nachbar*innen überhaupt. Die lokalen Medien haben umfangreich berichtet, so dass die Gruppe UfO Berlin mit ihrem guten Namen als seriöser Ansprechpartner wahrgenommen wurde und wird.

 

 

 

 

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